Samuel Lampel (1884–1942)

Samuel Lam­pel (1884–1942) war Kan­tor, Kom­pon­ist, Lehrer und Rab­bin­er in Leipzig. Die Straße neben unser­er Schule ist nach ihm benan­nt: 

„[V]on ins­ge­samt acht Straßen, die vor 1933 nach Per­so­n­en jüdis­ch­er Herkun­ft benan­nt wor­den sind, ist die Hälfte Musik­ern gewid­met. […] Seit dem Ende der nation­al­sozial­is­tis­chen Dik­tatur […] sind noch weit­ere Straßen und Plätze Musik­ern jüdis­ch­er Herkun­ft gewid­met wor­den. […] DDR-Plat­ten­baut­en ste­hen auch in der Samuel-Lam­pel-Straße im Stadt­teil Mock­au-Nord, wobei hier die Beze­ich­nung ‚Straßenge­flecht‘ passender wäre, denn die […] Straße schlän­gelt sich mit mehreren Abzwei­gun­gen durch ein Neubauge­bi­et. 1992 wurde sie im Andenken an Samuel Lam­pel (1884–1942) umgewid­met. Der im KZ Auschwitz ermordete Musik­er war Oberkan­ton an der Großen Gemein­desy­n­a­goge. Die an ihn erin­nernde Straße besticht nicht durch Schön­heit; durch ihre Lange und Bebau­ungsart ist sie aber unter den hier vorgestell­ten Straßen wohl die mit den meis­ten Anwohn­ern“ (Köh­ler 2025, 25 u. 29) 

Was Micha Köh­ler in seinem Artikel „Jüdis­che Musik­er auf Leipzigs Straßen“ nicht wis­sen kann: Im an die Samuel-Lam­pel-Straße gren­zen­den Friedrich-Arnold-Brock­haus Gym­na­si­um beschäftigt eine Schulk­lasse sich seit einiger Zeit sehr inten­siv mit Samuel Lam­pel. Was die Schü­lerin­nen und Schüler am Namensge­ber der Straße beson­ders beein­druckt, ist, dass Samuel Lam­pel die Begeg­nung von Jüdin­nen und Juden mit Nicht-Jüdin­nen und  Juden so am Herzen lag. Lam­pels Idee was es, durch per­sön­liche Begeg­nun­gen Vorurteile abzubauen: 

„Ein beson­deres Anliegen sah Lam­pel in den 1920er Jahren darin, […] in der Syn­a­goge eigene Konz­erte zu ver­anstal­ten. […] Es soll­ten sich aber nicht nur Mit­glieder der jüdis­chen Gemeinde ein­ge­laden fühlen, […] son­dern auch Inter­essen­ten aus der nichtjüdis­chen Bevölkerung […] vor allem Men­schen, die vielle­icht noch nie im Leben ein jüdis­ches Gotte­shaus betreten hat­ten und Vor­be­halte hegten. Die Syn­a­goge sollte zum Begeg­nung­sort wer­den“ (Schinköth 2021, 21–24).

Als Kan­tor – genauer gesagt Oberkan­tor – der lib­eralen Syn­a­goge (Leipziger Gottschedstraße/Ecke Zen­tral­straße) obla­gen Lam­pel in erster Lin­ie litur­gis­che Auf­gaben, aber Lam­pel förderte ger­ade im musikalis­chen Bere­ich Begeg­nun­gen. Seine Syn­a­goge hat­te eine Orgel, es san­gen dort (auch im Gottes­di­enst) die Thoman­er, der Syn­a­gogal­chor hat­te auch nichtjüdis­che Mit­glieder ver­schieden­er Kon­fes­sio­nen und es gab unter­schiedliche Gastchöre für Konz­erte, da Lam­pel die Syn­a­goge als wichti­gen Begeg­nung­sort zum Brück­en­bauen sah. Damit war Lam­pel ein echter Trend­set­ter in der über­wiegend ortho­dox geprägten jüdis­chen Gemein­schaft in Leipzig: 

„[N]ur ein Teil der Juden [kon­nte] in der Syn­a­goge, die auch als ‚Tem­pel’ beze­ich­net wurde, eine geistige Heimat find­en, denn die Gottes­di­en­ste waren lib­er­al aus­gerichtet – mit verkürzter Liturgie, gemis­cht­stim­migem Chorge­sang (Män­ner und Frauen) und sei 1868 mit Orgel. Die ortho­dox­en Juden, die ger­ade in Leipzig, ver­bun­den mit den Messen und Flucht vor Pogromen und Armut, einen immer größeren Anteil bilde­ten, fühlten sich dadurch aus­ge­gren­zt. Sie hat­ten nur die Möglichkeit, sich anzu­passen oder aber eigene Syn­a­gogen oder Bet­stuben zu unter­hal­ten, woll­ten sie Gottes­di­en­ste in tra­di­tioneller Gestalt erleben, vor allem ohne Orgel […] In diesem vielschichti­gen Umfeld wirk­te Lam­pel als lib­eraler Kan­tor und Reli­gion­slehrer. 1920 über­nahm er an der Syn­a­goge Gottsched­straße die Stelle des Haup­tkan­tor. […] Offen­bar ist es aber Lam­pel recht schnell gelun­gen, Sym­pa­thie bei den Gottes­di­en­st­be­such­ern zu find­en, vor allem durch viel Ein­füh­lungsver­mö­gen und Hingabe. […] 1927 wurde er zum Oberkan­tor berufen“ (Schinköth 2021, 18 u. 20). 

Lam­pels Ziel war es stets, nicht nur Mit­glieder der unter­schiedlichen jüdis­chen Gemein­den einzu­laden, son­dern darüber hin­aus Gäste aus der nichtjüdis­chen Bevölkerung, die teil­weise noch nie eine Syn­a­goge betreten hat­ten, um durch Begeg­nungsmöglichkeit­en mit der jüdis­chen Kul­tur Vor­be­halte abzubauen und gegen Stereo­type vorzuge­hen: 

„Wie sehr es Lam­pel um Völk­erver­ständi­gung und ein Miteinan­der der Reli­gion­s­ge­mein­schaften zu tun war, zeigt ein Konz­ert, das er am 14. März 1926 in der Großen Gemein­desy­n­a­goge ver­anstal­tete. Juden und Nichtju­den kamen im ‚Tem­pel’ zusam­men, wie das 1854/55 errichtete Gotte­shaus genan­nt wurde, um Gemein­samkeit­en und Unter­schiede in wech­sel­seit­iger Wertschätzung zu ent­deck­en“ (Kopfmüller 2025, 21). 

Außer­dem nutzte Samuel Lam­pel das noch junge Medi­um des Rund­funks. Da es in den 1920er Jahren jedoch noch nicht üblich war, solche Sendun­gen aufzuze­ich­nen, sind lei­der keine Tonauf­nah­men doku­men­tiert, dafür existiert eine Samm­lung von Artikeln, in denen er für die Zuhör­erschaft die Musik unter Berück­sich­ti­gung des musik­the­o­retis­chen Hin­ter­grunds erläutert: 

„Neben den üblichen Veröf­fentlichun­gen im Gemein­de­blatt bedi­ent sich Lam­pel des noch jun­gen Medi­ums Rund­funk. Kleine Sendun­gen wer­den aus­ges­trahlt, die für eine halbe oder ganze Stunde Ein­blicke in die jüdis­che Musikkul­tur gewähren, meist sind es viele kurze Stücke aus mehreren Jahrhun­derten des bre­it­en Reper­toires. Ab cir­ca 1927 sind die ‚Funkstun­den mit Syn­a­gogen­musik’ nach­weis­bar, gesendet wird direkt aus dem ‚Tem­pel’ (Motz 2015, 12). 

Als Kom­pon­ist verehrte Lam­pel ins­beson­dere die Vertreter des Barock: 

„Mit dem Beginne des 18. Jahrhun­derts war für die Musik der christlichen Kirche eine Blütezeit ange­brochen, eine Zeit der Frucht­barkeit und Tiefe, wie sie bis jet­zt nicht nur übertrof­fen, nein noch nicht ein­mal annäh­ernd erre­icht wor­den ist. Bach und Hän­del schreiben ihre unsterblichen Werke […] und die Fülle edel­ster Musik, die von diesen geschaf­fen wurde, kon­nte die empfänglich­sten Juden nicht unbee­in­flußt lassen“ (Lam­pel 1926, 3). 

Lam­pel ging musikalisch aber auch eigene Wege. Er entwick­elte den Syn­a­gogal­chor kün­st­lerisch weit­er und musste dabei so manche Wider­stände über­winden und sich in Geduld üben, um seine Gemeinde für Neues empfänglich zu machen. Lam­pels Werk „Kol Sch’muel“ wurde bis über die Gren­zen Deutsch­lands hin­aus rezip­iert (z. B. in Jerusalem):  

„Lib­er­al in der Ausle­gung seines Glaubens, dachte er über Kon­fes­sion­s­gren­zen hin­aus, öffnete seine Wirkungsstätte auch Nichtju­den, indem er Führun­gen, Konz­erte, ja sog­ar Rund­funksendun­gen ver­anstal­tete. Und neben­her schuf er zahlre­iche litur­gis­che Kom­po­si­tio­nen für den Gottes­di­enst sein­er Gemeinde, die 1928 als ‚Kol Sch’muel’ (Die Stimme Samuels) veröf­fentlich wur­den. Es sind Syn­a­gogengesänge für Kan­tor und gemis­cht­en Chor, mit und ohne Begleitung der Orgel (deren Ver­wen­dung in streng ortho­dox­en Gemein­den ein Tabu darstellt)“ (Kopfmüller 2025, 20).

Samuel Lam­pel wirk­te auch als Rab­bin­er und genoss in der jüdis­chen Gemeinde durch seine Art des Auftretens und des Umgangs mit Men­schen großes Anse­hen: 

„Durch musik­wis­senschaftliche Veröf­fentlichun­gen im Gemein­de­blatt, beson­ders auf seine Aus­führun­gen in ‚Etwas über syn­a­gogale Musik’ hin­weisend, geht er auf die Men­schen zu und dieser offene Umgang ist der eige­nen Anerken­nung sein­er Arbeit sehr förder­lich. Mit der­sel­ben Ruhe und Geduld eröffnet und hält er die Gottes­di­en­ste. Beson­ders den Anblick Lam­pels, wie er den Mit­tel­gang ent­langschre­it­et, die Tho­rarollen liebevoll in den Armen wiegend und dazu mit sein­er wun­der­schö­nen Bassstimme das ‚Schu­mae Jesue’ singed’ wird, wird sein ehe­ma­liger Schüler Rolf Kralovitz nie vergessen“ (Motz 2015, 11). 

Für uns ist Samuel Lam­pel daher ein echter Trend­set­ter, ein jüdis­ch­er Mann, der die Welt verän­dern wollte – wenn auch nur im Kleinen (Leipzig) – und das unter dem zunehmenden Anti­semitismus in Deutsch­land in den 20er/30er Jahren und der Ver­fol­gung der Juden im NS-Sys­tem, der er let­ztlich zum Opfer fiel.  

„Solange es ihnen [= Samuel Lam­pel und Bar­net Licht] erlaub war, hiel­ten sie das Musik­leben der Gemeinde aufrecht, unter oft schwierig­sten Bedin­gun­gen. Ein beson­ders emo­tionaler Moment war es jedes Mal, wenn ein Auftritt für eines der Mit­glieder zu einem Abschied wurde, weil die Aus­reise bevor­stand. Nie­mand wusste, ob sie sich je wieder­se­hen wür­den“ (Schinköth 2021, 45). 

Seine Biografie zeigt, dass er sich sein Leben lang mit Diver­sität auseinan­derge­set­zt hat und als Kan­tor und Rab­bin­er nicht nur lib­erale und ortho­doxe Juden, son­dern Men­schen unter­schiedlich­er Reli­gio­nen zusam­men­brin­gen wollte. Auch seine eigene Geschichte ste­ht für uns als Beispiel für die Vielfalt jüdis­ch­er Biografien.   

Samuel Lam­pel war außer­dem bis zu ihrer Schließung 1942 Lehrer für Musik und anfangs auch Sport an der berühmten Leipziger Ephraim-Car­lebach-Schule: 

„Viele Lehrer seien sehr gut gewe­sen, jüdis­che wie nichtjüdis­che. Beson­dere Spuren aber habe sein Musik­lehrer hin­ter­lassen, Samuel Lam­pel. Von 1914 bis min­destens 1924 hat­te er an der Schule unter­richtet, anfangs auch Tur­nen, und dann noch ein­mal ab spätestens 1935 bis zur Schließung der Schule 1942. ‚Lam­pel hat­te meine musikalis­chen Nei­gun­gen, als ich zehn, elf Jahre alt war, in der Klasse ent­deckt’, schildert Berlin­s­ki. ‚An jedem Don­ner­stag, gegen Ende des Gesang­sun­ter­richts, musste ich mich ans Klavier set­zen und das Stück, welch­es ich ger­ade übte, vor­spie­len. Das sind eigentlich meine ersten Konz­erte gewe­sen; und ich bin Lam­pel dafür dankbar“ (Schinköth 2021, 27 f.). 

Und Samuel Lam­pel fungierte in der Syn­a­goge in der Gottsched­straße als Rab­bin­er in ein­er Zeit, als es für Jüdin­nen und Juden in Deutsch­land bere­its lebens­ge­fährlich war.  

Samuel Lam­pel musste „erleben, dass auch seine eigene langjährige Wirkungsstätte zer­stört wurde, neben vie­len weit­eren jüdis­chen Ein­rich­tun­gen. […] Die jüdis­che Gemeinde musste nicht nur umge­hend die Ruine der Syn­a­goge Gottsched­straße auf eigene Kosten beseit­i­gen, Anfang 1939 wurde zudem von der Leipziger Stadtver­wal­tung aufge­fordert, die Syn­a­goge in der Keil­straße wieder­herzuricht­en. Das Gotte­shaus war zwar im Innen­raum ver­wüstet, aber nicht angezün­det wor­den […] Offen­bar sollte den Besuch­ern, die aus aller Welt zur Früh­jahrsmesse kamen, ‚noch religiöse Tol­er­anz vor­getäuscht wer­den‚ […] Die Eröff­nung der Syn­a­goge nahm dann Samuel Lam­pel vor. Lam­pel fungiert bald, zusät­zlich zu sein­er Kan­toren­tätigkeit, als Rab­bin­er […] Welch­es Pen­sum Samuel Lam­pel in dieser Zeit zu bewälti­gen hat­te, bleibt nur zu ahnen. Hinzu kamen so viele alltägliche Sor­gen in ein­er Welt der Aus­gren­zung, Denun­zi­a­tion und Ver­fol­gung. Wie sollte es weit­erge­hen? Wovon soll­ten sie leben?“ (Schinköth 2021, 49–51). 

Über die let­zten Tage von Samuel Lam­pel und sein­er Frau Rosa ist bekan­nt, dass sie aus der Tschaikowskistraße 23 ver­trieben wur­den und ins Juden­haus in der Leib­nitzs­traße 30 im Südosten der Stadt zogen, wo die Men­schen auf eng­sten Raum zusam­men­lebten und sich ver­mut­lich mit weit­eren Per­so­n­en ein Zim­mer teilen mussten. 

Am 13. Juli 1942 tauchen Samuel und Rosa Lam­pel in der Depor­ta­tion­sliste für einen für einen großen Trans­port nach Auschwitz auf (unter den Num­mern 45 + 46). Auf Grund­lage von Ster­be­büch­ern von Auschwitz ist die Ermor­dung von Samuel Lam­pel am 11.08.1942 belegt.

Lit­er­atur­nach­weise: 

Micha Köh­ler, Jüdis­che Musik­er auf Leipzigs Straßen, in: Gewand­haus-Mag­a­zin Nr. 129, 2025, 23–29. 

Wern­er Kopfmüller, Wern­er Kopfmüllers Musik-Kolumne. Ehren – wie hörenswert, in: Gewand­haus-Mag­a­zin Nr. 129, 2025, 20–21. 

Samuel Lam­pel, Etwas über syn­a­gogale Musik, in: Gemein­de­blatt der Israelitis­chen Reli­gion­s­ge­meinde zu Leipzig, 11/1926, 3. 

Juliane Kristin Motz, Auf den Spuren der Noten – Samuel Lam­pel, der let­zte Oberkan­tor der Leipziger Haupt­sy­n­a­goge, Fachar­beit 2015. 

Thomas Schinköth, Samuel Lam­pel. Kan­tor, Lehrer, Kom­pon­ist, Pub­lizist, in: Jüdis­che Minia­turen, Leipzig 2021.