“Der See ist ein großer Friedhof” — Zeitzeugengespräch mit dem Holocaust-Überlebenden Mikołaj Skłodowski

Am 21. Okto­ber 2025 hat­ten Ler­nende der 12. Klassen unser­er Schule die beson­dere und wohl ein­ma­lige Gele­gen­heit, die Erzäh­lun­gen des Holo­caust-Über­leben­den Pfar­rer Mikołaj Skłodows­ki aus Danzig zu erleben. Ein­ge­laden wurde er vom Max­i­m­il­ian-Kolbe-Werk in Zusam­me­nar­beit mit dem Lan­desamt für Schule und Bil­dung. Skłodows­ki berichtete ein­drucksvoll in sein­er pol­nis­chen Mut­ter­sprache in Inter­ak­tion mit ein­er Über­set­zerin über seine Fam­i­liengeschichte und über das Leben im Konzen­tra­tionslager Ravens­brück – dem Ort, an dem er selb­st im März 1945 geboren wurde.

Der heute 80-Jährige begann seine Schilderun­gen mit den Worten: „Meine Auf­gabe ist es, euch diese Zeit nahe zu brin­gen, ohne zu sagen, was gut oder schlecht war.“

Seine Mut­ter war zum Zeit­punkt ihrer Ver­haf­tung 21 Jahre alt und trug im KZ die Häftlingsnum­mer 60224. Als poli­tis­che Gefan­gene mit einem roten Winkel und einem „P“ für „Polin“ war sie den unmen­schlichen Bedin­gun­gen des Frauen­lagers aus­geliefert. Skłodows­ki schilderte ein­drück­lich, wie die Frauen dort ihrer Würde beraubt wur­den: Haare wur­den abrasiert, sie mussten sich entk­lei­den und medi­zinis­che Unter­suchun­gen über sich erge­hen lassen, bevor sie Num­mer und Häftlingsklei­dung erhiel­ten. „In dem Moment, wo ein Men­sch das Lager betrat, hörte er auf, ein Men­sch zu sein“, sagte Skłodows­ki.

In jed­er Baracke lebten bis zu 300 Frauen unter katas­trophalen hygien­is­chen Bedin­gun­gen. Ab 14 Jahren mussten sie Zwangsar­beit leis­ten – zunächst bei Ern­tear­beit­en, später in Rüs­tungs­be­trieben. Beson­ders grausam waren die medi­zinis­chen Exper­i­mente, die in Ravens­brück durchge­führt wur­den. Unter der Auf­sicht der KZ-Ärztin Her­ta Ober­heuser wur­den Frauen absichtlich infiziert oder ihnen Beton in Wun­den einge­führt, um „medi­zinis­che Erken­nt­nisse“ für den Krieg zu gewin­nen.

Skłodows­ki berichtete, dass beim Vor­rück­en der sow­jetis­chen Armee der Befehl gegeben wurde, diese „Ver­suchsper­so­n­en“ zu töten, um Spuren zu beseit­i­gen. Mutige Mithäftlinge ret­teten jedoch einige Frauen, indem sie ihre Iden­tität ver­tauscht­en – ein Akt stillen Wider­stands mit­ten im Grauen.

Auch über die Kinder im Lager sprach Skłodows­ki bewe­gend. Seine eigene Geburt war eine Zan­genge­burt, und er wog bei sein­er Ret­tung im April 1945 nur 1,5 Kilo­gramm. Die meis­ten im Lager gebore­nen Kinder über­lebten nicht: Von etwa 800 Geburten in Ravens­brück wur­den nur 39 Kinder gerettet. Säuglinge lit­ten unter Hunger, Kälte, Läusen und Rat­ten – ein bewusst in Kauf genommen­er Tod. „Die Kinder waren schlecht­en hygien­is­chen Zustän­den aus­ge­set­zt. Einige hat­ten von Rat­ten ange­fressene Ohren und Nasen“, erzählte er.

Kurz vor Kriegsende gelang der Fam­i­lie die Ret­tung durch eine Hil­f­sak­tion des Schwedis­chen Roten Kreuzes, ermöglicht durch ein Abkom­men zwis­chen Hein­rich Himm­ler und Schwe­den. Für den kleinen Mikołaj bedeutete dies das Über­leben. Seine Groß­mut­ter bewahrte in ein­er Seife ein kleines Medail­lon des heili­gen Niko­laus, das der Fam­i­lie als Schutzsym­bol diente – und Mikołaj später seinen Namen gab.

Nach dem Krieg blieb das The­ma in sein­er Fam­i­lie kein Tabu. „Für mich gehörte das Lager zur Nor­mal­ität“, sagte Skłodows­ki nüchtern. Bis ins Jahr 2000 trug er in seinem Ausweis den Geburt­sort „KZ Ravens­brück“, später dann „Ravens­brück“ – ein Ort, den es geografisch gar nicht gibt, aber der für ihn und viele andere ein Leben lang Real­ität blieb.

Zum Abschluss sein­er Erzäh­lung richtete Skłodows­ki ein­dringliche Worte an die Jugendlichen:

„Ich spreche darüber, weil ich ein­er der let­zten Zeu­gen bin. Ich möchte war­nen vor dem Nach­laufen irgendwelch­er Indok­tri­na­tio­nen. Ich spreche zu euch, weil ihr ins Leben startet. Es geht mir darum, euch zu war­nen, dass das wieder passieren kön­nte.“

Seine Botschaft hallte lange nach: Erin­nern heißt Ver­ant­wor­tung übernehmen. Der See neben dem ehe­ma­li­gen Lager Ravens­brück, in den die Asche der Ermorde­ten gekippt wurde, ist – wie Skłodows­ki sagte – „ein großer Fried­hof“.

Dieses Gespräch war eine Mah­nung, wie wichtig es bleibt, die let­zten Stim­men der Über­leben­den zu hören – und nie zu vergessen, wozu Hass und Gle­ichgültigkeit führen kön­nen.

(M. Moeßn­er & M. Sick­ert)

HIER find­et ihr einen Bericht des MDR Sach­sen­spiegels.